Slow the fuck down!
Ich trage seit November 2017 eine Apple Watch, und seit dem ersten Tag auch wirklich dauerhaft, also auch zum Schlafen. Mein Haupttreiber damals waren gewisse gesundheitliche Entwicklungen, die ich zum einen überwachen und zum anderen, angetrieben durch die Daten der Uhr, aktiv verändern wollte. Und genau diese aktive Veränderung hat hervorragend funktioniert. Ich habe eine feste Fitnessroutine entwickelt, meine Werte haben sich durch den neuen Lebensstil deutlich verbessert, und nach zwei Jahren konnte ich alle Medikamente wieder absetzen und benötige sie auch bis heute nicht mehr.
Nach fünf Jahren stellte sich jedoch eine gewisse Unzufriedenheit ein, die ich anfangs gar nicht richtig greifen konnte. Einerseits war ich frustriert über die eingeschränkten Möglichkeiten, ein wirklich ansehnliches Design für die Uhr zu gestalten. Andererseits hatte sich schleichend ein Zwang etabliert, die Ringe schließen zu müssen – komme, was wolle.
Mitmenschen ohne Apple Watch erklärten mich in dieser Phase wortwörtlich für bescheuert und bezeichneten mich als Geißel meiner Uhr. Aber was sollte daran verkehrt sein, im strömenden Regen noch eine Runde zu drehen, nur um ein paar Kalorien oder Stehminuten einzusammeln? Für mich war das völlig normal und schließlich auch gesund, ich bewegte mich ja. Verstehen konnten das wohl nur andere Apple-Watch-Besitzer, die man oft daran erkannte, dass sie zum Schließen des Stehrings im Sitzen den Arm auf und ab pendelten und nach dem leisen Pling kurz zufrieden lächelten.
Ich kann gar nicht genau sagen, was genau den Ausschlag gegeben hat, aber im April 2022 habe ich die Reißleine gezogen und bin von heute auf morgen auf eine Withings ScanWatch umgestiegen. Nach vielen Jahren mit einem Miniatur-iPhone am Handgelenk, optisch ein echter Leckerbissen. Und das Beste war, dass hinter ihrem analogen Äußeren moderne Technik steckt, die weiterhin alle Gesundheitsdaten aufgezeichnet hat, nur eben ohne Ringe. Das fühlte sich sehr befreiend an. Leider waren die Daten selbst für meine nur mittelmäßigen Ambitionen, mich fit zu halten, nicht zu gebrauchen. Der Herzfrequenzsensor war einfach zu ungenau und damit jede Auswertung meiner sportlichen Aktivitäten wertlos. Ich habe noch versucht, die ScanWatch zu retten, in dem ich für sportliche Aktivitäten einen Brustgurt anstatt der Uhr verwendet habe. Aber irgendwann musste ich mir eingestehen, dass mein Anspruch an Datenqualität zu einem komplizierten Setup geführt hat, mit dem ich bald noch unzufriedener war. Ab August 2022 war ich dann wieder mit der Apple Watch unterwegs, aber meine Einstellung zu der Uhr hatte sich komplett geändert.
Streaks und geschlossene Ringe haben mich nicht mehr interessiert. Apps wie Athyltic und Bevel, die mir erklären wollten, wie leistungsfähig ich heute bin oder wie ich mich fühlen sollte, hatten ihren Reiz verloren. Anfangs habe ich den Hype mitgemacht und ausnahmslos wirklich jede App getestet und auch ordentlich Geld investiert. Mittlerweile kann ich darüber nur noch schmunzeln. Wie ich mich fühle, weiß ich selbst am besten, und ob ich Sport mache oder nicht, hängt von meiner Lust, meinem Kalender und meinem Energielevel ab.
In diesem Jahr hat sich dann wie aus dem Nichts eine Neugier für mechanische Uhren entwickelt. Ich war plötzlich in Uhrenforen unterwegs, habe mich in Details verschiedener Uhrwerke eingelesen und eine Wunschliste von Uhren erstellt, die ich wirklich absolut unbedingt besitzen muss. Oh ja, ich war wirklich tief im Hasenbau. Irgendwann habe ich mir eine Laco Stuttgart Pro als Geschenk an mich selbst gegönnt. Eine gut balancierte Uhr für den Einstieg in diese für mich neue Welt von einer deutschen Uhrenmanufaktur mit einer langen Tradition. Die Uhr gefällt mir ausgesprochen gut, ich trage sie regelmäßig und gern. Und die Apple Watch kommt eigentlich nur noch für sportliche Aktivitäten an den Arm und natürlich Nachts, für das Schlaftracking und noch wichtiger, dem lautlosen Wecker, der mich sanft aus dem Schlaf holt.
Dieses Video, das mir Felix in meinen Feedreader gespült hat, hat mich absolut fasziniert. Es transportiert für mich zum einen die Faszination, die mechanischen Uhren auf mich haben, und zum anderen bin ich immer geflasht, wenn Menschen etwas derart beherrschen, dass sie zum absoluten Experten in diesem Metier werden. Im Video wird der Brooklyner Uhrmacher Giles Clement porträtiert, der nicht nur die Teile für seine handgemachten Uhren selbst herstellt, sondern gleich auch noch die Maschinen zur Produktion. Das ist Handwerk, Technik, Ingenieurskunst und eine Prise Wahnsinn in ihrer reinsten Form. Und weil eine GMT-Uhr ohnehin sehr weit oben auf meiner Wunschliste steht, habe ich die Paris Toulouse GMT kurzerhand an die Spitze dieser Liste gesetzt.

Was will ich mit diesem Artikel sagen? Vielleicht ist er am ehesten als ein Plädoyer gegen Zwang, Datensammelwahn und ständige Selbstoptimierung zu verstehen. Ein Aufruf, Schluss mit Apps zu machen, die nur bestätigen, was man ohnehin längst selbst spürt. Und stattdessen mehr Zeit für das Jetzt, Raum für echte Dinge und Gefühle, die Bestand haben, für Leidenschaft, für das Leben selbst und für das Vertrauen in sich selbst. Für die Erkenntnis, dass man alles schaffen kann, aber nichts muss.
Kurz: Slow the fuck down!