Betende Trucker
Als wir kürzlich Nachts auf der Autobahn an zahlreichen LKW vorbeigefahren sind, fragte meine Frau: Die müssen doch alle Lenkpausen einhalten. Wo schlafen die dann eigentlich?
Ich habe dann kurz angefangen über die Betten hinter den Fahrersitzen auszuholen, als sie meinte, das wisse sie schon. Aber die würden da doch nicht ernsthaft drin schlafen? Also im Notfall, klar. Aber sonst gehen die doch wohl hoffentlich bitte in Hotels?
Ich liebe es, wenn meine Frau solche Kinderfragen stellt. Wie damals, als wir im Herbst an einem gelb blühenden Feld vorbeigefahren sind und sie mich fragte, seit wann Raps im Herbst blüht. Ich habe das mit „Das ist Senf, Spatzl“ beantwortet, woraufhin sie fragte „Süßer oder scharfer?“. Wir lachen heute noch darüber, wenn wir Senffelder sehen.
Na jedenfalls, rund um diese Frage, wo Fernfahrer nun eigentlich schlafen, habe ich meiner Frau erklärt, dass ich früher auch mal beruflich 40-Tonner fahren wollte.
Sie schaute mich sehr erstaunt an und meinte: Häh, ich dachte, du wolltest Pfarrer werden? Ja das auch. Waren wilde Zeiten.
Pfarrer wollte ich werden, weil ich als Kind oft meine Großeltern im thüringischen Eichsfeld besucht habe. Was für ein fantastischer Ort. Ich habe dort wirklich gern einige Wochen meiner Sommerferien verbracht. Nur die Gottesdienste, zu denen ich meine Großeltern begleitet habe, waren so furchtbar langweilig. Und so hatte ich schon mit 8 Jahren den Wunsch Pfarrer zu werden, weil ich wusste, ich kann’s besser und bei mir würde sich niemand auf den Bänken langweilen. Lange bevor ich von amerikanischen Kirchen wusste (wir reden hier von DDR-Zeiten), wollte ich fetzige Gottesdienste und die Kirche von innen revolutionieren. Ich erinnere mich, wie ich das immer als Antwort gegeben habe, wenn mich jemand nach dem Warum gefragt hat, wenn ich gesagt habe, ich möchte Pfarrer werden. Die Reaktionen waren Lachen und hochgezogene Augenbrauen. Ich glaube nicht, dass mich jemand ernst genommen hat, aber diesen Berufswunsch hat mir auch niemand ausgeredet.
Der ist nämlich von ganz allein vorübergezogen, als Auf Achse in unserem heimischen Wohnzimmer Einzug gehalten hat. Ab da wollte ich Fernfahrer werden, so wie Franz Meersdonk einer war. Die ganze Zeit auf Tour, Terminfracht ausliefern und wilde Abenteuer erleben. Der Gesichtsausdruck meiner Frau war im Dunkel des Autos nicht zu erkennen, aber das ungläubige Schweigen, gefolgt von einem „Du bist verrückt“ hat eigentlich auch alles gesagt.
Als ich das hier so aufschreibe, habe ich natürlich auch auf YouTube nach „Auf Achse“ geschaut. Es gibt tatsächlich alle Staffeln online. Und zu Recherchezwecken habe es wirklich versucht, aber ich weiß wirklich nicht mehr, was mich damals an dieser Serie fasziniert hat. Es müssen wohl die großen LKW und die fernen Länder gewesen sein. Ansonsten ist die Serie erschreckend schlecht gealtert und ich habe keine 20 Minuten durchgehalten, in dem Versuch das Gefühl von damals heraufzubeschwören.
Interessanterweise kann ich mir auch heute noch vorstellen, im Grunde jeden Job zu machen. Mein wohl größtes Talent ist, dass ich Generalist bin. Das heißt, ich kann eigentlich nichts so wirklich und bin so vielseitig interessiert, dass ich von heute auf morgen komplett neue Interessen aufbauen und alles, was gestern war, vergessen kann.
Das führt manchmal dazu, dass ich genervt von bestimmten Dingen denke „Ich brauch das hier alles gar nicht! Ich kann auch Busfahrer werden.“. Und dann denke ich über Busfahrer nach, und dass das eigentlich ein cooler Job wäre. Ich male mir Dienstpläne aus, denke an nette und an nicht so nette Passagiere, bis jemand kommt und mir plötzlich von Bestattern erzählt, und dann denke ich, wie unheimlich entspannt das wohl sein muss und dann dreht sich mein Gedankenkarussell von vorne. Vielleicht sollte ich mich wirklich mal auf ADHS testen lassen?